Der Moderator wird zum Schaf vor den Wölfen

Ein kleiner Rant auf Brainstormings und ein Rat für Unternehmen, die Innovation fördern wollen

In “Jamming” lobt Innovationsexperte John Kao Brainstormings als die ultimative Methode Ideen zu generieren, die die Welt verändern können. Jetzt habe ich selber schon vielerlei Brainstormings moderiert oder mitgemacht und empfand sie immer als eher frustrierende Erfahrung.

Denn was die Organisatoren und Auftraggeber in der Regel vergessen, ist dass es auf die kreativen Fähigkeiten jedes einzelnen Teilnehmers ankommt. Auch Kao schränkt sein Lob auf diese Weise ein. Seiner Ansicht nach braucht es das richtige Mindset und zielgerichtetes Training aller Teilnehmer, um die wundervollen Ergebnisse produzieren zu können.

Statt dessen veranstalten Unternehmen weltweit Brainstormings, Design Thinking Workshops und World Café Sessions in der Hoffnung, dass ihr feuchtes Holz ein Feuer entfacht. Jetzt ist es mal an der Zeit all meinem Frust freien Lauf zu lassen. Drei kleine Geschichten:

Der heilige Gral

Der Raum glüht vor Begeisterung. Die Teilnehmer sprühen vor Ideen. Manchmal wird sogar etwas kurioses in den Raum geworfen, worüber alle amüsiert lachen – schließlich ist so ein Brainstorming ja eine nette Abwechslung vom Alltag – doch auf ein Post-it schafft so eine Kuriosität es natürlich nicht.

Dann plötzlich durchzuckt helles Licht den Raum: Der Geistesblitz! Die Idee! Die beste Idee! Das heilige Post-it wird sofort als die Lösung des Brainstorming-Rätzels erkannt, in die Mitte gehangen und fortan über die Umsetzung dieses heiligen Grals diskutiert. Gelegentlich neu auftauchende Ideen schaffen kaum den Weg von ihrem Fürsprecher zum Moderator, nie hingegen auf ein Post-it.

Was der Chef will

Ein Geschäftsführer hat einen tollen Innovationsberater besorgt, der jetzt mal die Grundlage für die Zukunft des Unternehmens mit Hilfer der besten Führungskräfte legen soll.

Ganz kurzfristig wurde die Zukunft des Unternehmens in der Prioritätenliste des Geschäftsführers von einem Zwischenfall im Controlling überholt, weshalb er leider nur Zeit die ersten 30 Minuten Zeit hat. 

Den 4-stündigen, ergebnisoffenen Workshops leitet er darum mit einem 28-minütigen Monolog zu seiner fulminanten Idee ein und verlässt die Gruppe anschließend mit den Worten “das ist aber natürlich nur eine Anregung”.

Flucht vor den Wölfen

Ein anderes Unternehmen, andere Teilnehmer, wahrscheinlich der gleiche tolle Innovationsberater.

Die Gruppe kam schon zum Frühstück zusammen, drückte sich herzlich die Hände “ist denn das neue Auto schon da?”, “was machen Frau und Kind?” und man bekommt den Eindruck, dass eine Gruppe Leitwölfe sich den Schafspelz angelegt hat – Innovation hat schließlich höchste Priorität für den Chef und dass ein offenes Mindset unerlässlich ist, hat jeder Wolf schon mal in seinem Manager Magazin gelesen.

Der Moderator leitet also das Brainstorming ein. Die Gruppe Wölfe schaut ihn lauernd an … und schweigt.

Vom Schweigen verängstigt beginnt der Moderator – er ist schließlich Innovationsberater und der im Raum, der alles besser wissen sollte – zu reden. Und Post-its zu schreiben.

Performance ist seine Flucht vor dem Rudel schweigender Wölfe, bis die Wand so voll Post-its ist, dass der Wald schon längst nicht mehr zu sehen ist, und die Wölfe vergeblich nach ihren Schafen suchen.

Jetzt mal im Ernst

An allererster Stelle brauchen Brainstormings sehr gute Führung. Ein vermeintlicher Domain-Experte ist also die schlechteste Wahl, die man treffen kann. Zu hoch ist die Erwartungshaltung der Teilnehmer, zu gering sind seine eigenen Moderationsfähigkeiten.

Ebenso schlecht ist jeder, der auf einen Folgeauftrag hofft. Man braucht eine Moderatorin, die keine Angst hat schweigende Wölfe zu Lämmern zu machen und seinen potenziellen Auftraggeber aus dem Raum zu werfen.

Gute Brainstorming-Moderatorinnen sind in der Lage eine Gruppe durch verschiedene Phasen zu führen, das richtige Timing für Methoden und Interventionen zu finden und so das kreative Potenzial voll auszuschöpfen.

Doch die beste Moderatorin kann auch immer nur das volle Potenzial ihrer vorhandenen Gruppe ausschöpfen. Damit ein Brainstorming wirklich gute Ideen hervorbringt, braucht es aber auch kreative Teilnehmer. Wenn Unternehmen ihre Experten in einen Topf werfen, ist zwar schon mal für genug Stoff gesorgt, aber um diesen zu guten Ideen zu entwicklen brauchen die Teilnehmer Übung und das richtige Mindset.

Vor jedem Brainstorming sollte also die Arbeit mit und an den einzelnen Teilnehmern stehen. Erst wenn diese mit der richtigen Einstellung in den Workshop gehen kann ernsthaft Innovation entstehen. ?


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